Mecklenburg August 2024
Per Rad nach Usedom und zurück
Samstag, 03.08.
Zwei Wochen Urlaub sind nicht sehr viel, also verschaffen wir uns einen kleinen Vorsprung, um unsere Mecklenburg-Usedom-Oder-Rundtour mit dem Rad direkt starten zu können. Die Räder werden also im Auto verstaut und da wir keine Freunde hektischen Schnellstraßenverkehrs sind, verbieten wir dem Navi die Autobahnen. So erreichen wir dank diverser Umleitungen unser erstes Zwischenziel Berlin Alt-Glienicke auf eher ungewohnter Route, aber rechtzeitig, um ein wenig Zeit mit lieben Menschen zu verbringen, die man viel zu selten sieht. Sind die Jungs schnell beim Thema Radfahren, lassen wir Frauen uns über den neuesten Klatsch der Baustellenwelt aus. Wir werden mit Kaffee und Kuchen beglückt und könnten noch stundenlang schwatzen, haben jedoch noch ein ganzes Stück vor uns und müssen uns leider verabschieden. Wir verlassen Berlin und bald auch Brandenburg und sind am Abend in einem kleinen mecklenburgischen Dorf bei Blankensee, wo wir ebenfalls schon erwartet werden. Unsere Offroad-Diva darf sich nun in einer kleinen wilden Oase zwei Woche wohlfühlen, denn die weitere Reise wird per Rad zurückgelegt. Zunächst verweilen wir aber noch, denn unser Gastgeber ist ein wunderbar interessanter Mensch, der uns gleich zum Baden entführt und mit welchem uns bis spät in die Nacht immer noch nicht die Themen ausgehen.
Sonntag, 04.08.
Das Leben spielt sich draußen ab und die Weite der Landschaft nebst den örtlichen Gegebenheiten erinnern so schön an afrikanische Camps, nur die Fauna ist eine andere. Wir werden in die Geheimnisse der Gegend eingeweiht und besuchen ein Tal mit einer verlassenen, ehemals imposanten Wassermühle. Einige Restfundamente kleinerer Häuser und eine gut erhaltene Steinbogenbrücke sind noch stumme Zeugen des einstigen Dorflebens.
Nicht weit davon treffen wir an einem der vielen gut versteckten kleinen Strände auf zwei Männer mit einer kleinen Schäferhündin, die noch unerzogen, aber fröhlich die Welt entdeckt und gerade ihr erstes Bad genommen hat. Auch uns zieht es ins Wasser und wir genießen die Ruhe und Einsamkeit.
Am Abend packen wir Unmengen Halloumi auf den Grill und komplettieren das Mahl mit Salat und Hummus. Auch dieser Abend wird wieder lang, bevor wir in unser Dachzelt krabbeln.
Montag, 05.08.
Gegen Mittag haben wir unsere Reisehabseligkeiten auf den Rädern verstaut und starten nun den die eigene Körperkraft erfordernden Teil des Urlaubs. Die Diva verbleibt auf der Wiese und darf frische Landluft statt Abgase schnuppern.
Wir nehmen eine Abkürzung über die Wiesen, und sind bald auf dem Bahnradweg, der wie der Name schon sagt, auf einer ehemaligen Bahnstrecke gebaut wurde. Ein wenig Wehmut ist stets dabei, wenn man die schönen Strecken und einstigen Bahnhöfe sieht und weiß, dass diese wohl für immer dem Schienennetz entzogen sind. Natürlich hat es für uns in diesem Moment auch etwas Gutes, denn die Bahntrassen weisen nur schwache Steigungen auf. Immerhin hat man nicht alles asphaltiert und so verläuft die Strecke auch über unbefestigten Untergrund. In einem Waldstück versperrt uns ein umgestürzter Baum den Weg und wir müssen die beladenen Räder mühsam unter ihm hindurchbugsieren. Wir passieren Orte wie Woldegk und Strasburg, in denen man froh ist, noch wenigstens einen Laden für die nötige Grundversorgung zu finden. Viele Einkaufsmöglichkeiten liegen nicht auf unserer Strecke, so dass wir ein bisschen planen müssen. So wandern auch einige leckere Birnen aus Mutter Natur in unsere Taschen und im Örtchen Rosenthal erbettelt Uwe Wasser von einem Anwohner. An der Landstraße kurz vor Rothemühl finden wir eine gute Stelle zum Übernachten mit Blick auf eine weite Wiese. Wir stehen ein wenig erhöht am Rande und schauen mit einiger Besorgnis auf die errichteten Hochsitze, von denen wir uns eigentlich lieber fern halten. Drei Rehe und ein Fuchs sind dennoch mutig genug, sich am Abend auf der Fläche sehen zu lassen. Wir sind erfreut über die Abwesenheit der Jäger und gönnen den Tieren ihre Unversehrtheit.
Dienstag, 06.08.
Wir folgen den Radwegen, die mal auf, mal an der Straße entlang führen. Ein langes Stück führt der Weg durch einen Wald, in dem wir weder Mensch noch Reh begegnen, bis wir Ueckermünde erreichen. Wir nutzen den kurzen Aufenthalt für einen Imbiss und folgen der Straße nordwärts, bis wir diese endlich wieder verlassen und unsere Tour auf einsameren Wegen fortsetzen. Die Gegend ist mangels Arbeitsplätzen ziemlich dünn besiedelt, die verbliebenen schönen Bauernhäuser mit ihren alten Gärten werden vermehrt von Künstlern oder Freiberuflern bewohnt, denen ein täglicher langer Arbeitsweg erspart bleibt. Für den Anbau von Getreide oder Gemüse taugt das umliegende Sumpfland nicht. Dort, wo kein Wasser ist, breitet sich saftiges Gras aus, aber nur selten sehen wir Weidetiere. Der Weg führt nun auf einem Damm entlang und während sich ein Traktor im festen Schlamm festfährt und nun auf Rettung hoffen muss, erklimmen wir einen kleinen Aussichtsturm, um den Blick über das Vogelparadies schweifen zu lassen.
Am Horizont sehen wir bereits die Reste der großen Hubbrücke im Peenestrom. Die einstige Eisenbahnverbindung auf die Insel Usedom wurde im zweiten Weltkrieg zerstört. Nicht durch einen Angriff, sondern durch die deutsche Wehrmacht, um den Vormarsch der russischen Armee zu stoppen. Man konnte ihn dennoch nicht verhindern und ein interessantes Stück Ingenieurkunst ging für immer verloren. Die mit einem DB-Schild versehene, wohl immer noch im Besitz der Bahn befindlichen Reste der Brücke sollten 1990 abgebaut werden. Dies wurde von einer Bürgerinitiative verhindert, aus der sich nun ein Verein gegründet hat, der für den Wiederaufbau kämpft. Ob dies der Insel letztlich gut tut, bleibt die Frage, verband diese Eisenbahnlinie doch einst Berlin mit Usedom und brachte schon damals etliche Touristen in die Seebäder.
Am Hafen in Kamp genehmigen wir uns ein Bier am Imbiss, an dem man auch die Tickets für die Fähre kauft. Stolze 12,50 Euro berappen wir für eine Person mit Fahrrad. Und nein, das Bier ist im Preis nicht enthalten. Unser einziger Trost ist es, dass E-Bikes noch mehr kosten. Auf der anderen Flussseite finden wir in Karnin an der Hafenmeisterei unseren Zeltplatz für die Nacht. Auch hier gibt es einen Imbiss und sogar sanitäre Einrichtungen mit Duschen. Später stellen wir fest, dass das gesamte Geschäft der Stellplatzvermietung, der Imbisse in beiden Orten und die Fähre in einer Privathand liegt und man mangels Konkurrenz somit ordentlich zulangen kann.
Mit der ersten Fährfahrt stellen sich auch die Menschen ein und es wird unruhig an unserem Rastplatz. Wir verlassen den kleinen Hafen mit seinen etwas mürrischen Hafenmeisterinnen und machen auf unserem Weg einen kleinen Bogen, um bei einem Künstler vorbeizuschauen, bei dem wir dank unseres Freundes auch hätten übernachten können. So wollen wir wenigstens kurz Hallo sagen. Leider ist besagter Karl gar nicht zu Hause, aber sein Freund gibt uns gerne eine kleine Führung durch den Skulpturengarten, in dem eine ansehnliche Population Mücken beheimatet ist, die uns stürmisch begrüßt. Schön anzusehen, dass man aus Porenbeton neben schnöden Neubauten auch liebliche Figuren schaffen kann. In einem gewächshausartigen Ausstellungsraum bewundern wir, wie man auch aus Paketbändern oder Kletterseilen neue Dinge herstellen kann und betrachten eine beachtliche Sammlung von Muscheln, Korallen und Versteinerungen unseres sehr auskunftsfreudigen Gesprächspartners.
Die Weiterfahrt auf ruhigen Straßen und Radwegen zehrt dank ungeahnter Hügel und Gegenwind ein wenig an den Kräften, obwohl wir am dritten Tag schon ein wenig trainiert sind. Die Beschilderung weist nach Heringsdorf, aber vermutlich befinden wir uns auf einem ausgewiesenen Rundweg, denn der Weg führt nicht nach Norden, sondern nach Osten. So sind wir bald an der polnischen Grenze und überqueren diese auf einer kleinen Holzbrücke südlich von Swinoujscie, dem einstigen Swinemünde. Bis zur Stadt ist es nicht weit. Im Zentrum steuern wir den Hafen an, denn wir müssen die Swine überqueren. Zunächst warten wir vergeblich an der falschen Fähre, die, wenn sie denn führe, auch nur für Einheimische ihren Dienst tut. Vielleicht gilt dies aber auch nur für den motorisierten Verkehr, da es für Autos auch eine Brücke gibt. Unsere Fähre legt nur wenige Meter weiter an und im Gegensatz zur Fähre über den Peenestrom bringt uns diese hier kostenlos über die Swine. Am östlichen Ufer radeln wir zunächst dem Tross der anderen Radfahrer hinterher, vorbei an Baustellen und der Bahnlinie folgend auf einer schlecht asphaltierten Straße. Ein Stück weiter bietet sich die Gelegenheit zum Überqueren der Gleise. Kurz verirren wir uns an ein Bunkermuseum, an dessen Besuch wir aber nicht interessiert sind. Unser Abzweig lag ein wenig oberhalb und nun radeln wir auf dem parallel zur Straße verlaufenden Waldweg mit einigen Steigungen und zum Glück nur wenigen Tiefsandpassagen. Am Nachmittag sind wir in Misdroy und werden sogleich von hochhausartigen Hotelblöcken geschockt, zwischen denen sich tatsächlich auch zwei kleine Zeltplätze quetschen. Wir nehmen lieber ein paar Meter mehr in Kauf und finden unseren Platz auf dem Forest Camp, wo wir unter Kiefern auf einer großen Wiese unser Zelt aufschlagen.
Der nahe gelegene Supermarkt bedient seine Kunden bis 23 Uhr, so kochen wir erst unser noch vorrätiges schmackhaftes Tütennudelgericht, kaufen uns dann ein paar Getränke und leckere polnische Salzgurken, mit denen wir uns auf die Strandpromenade hinter die flachen Dünen setzen und am Abend aufs Meer schauen. Wären nicht all die hin- und herspazierenden Menschen, könnte dies ein sehr lauschiges Plätzchen sein. Und auch die startenden Militärflieger, die im Nachthimmel ihre Abgase verbrennen, zerstören rasch die Urlaubsidylle.
Donnerstag, 08.08.
Wir gönnen uns einen Ruhetag. Der Ort ist zwar ein touristisches Grauen, hat aber nun einmal den Vorteil, am Meer zu liegen und unsere weitere Reise wird uns wieder ins Hinterland führen. Die wenigen schönen alten Villen kommen zwischen den rasant wachsenden Bettenburgen und Fressmeilen leider überhaupt nicht zur Geltung. Sicher war dieser Ort früher mal eine Erholungsidylle. Letztlich muss man aber zwei Dinge am Meer einfach tun – Fisch essen und im Meer baden. Den Fisch finden wir in Form von leckeren riesigen gegrillten Fischspießen. Das Bad im Meer ist bei 20 Grad Lufttemperatur schon eine Herausforderung, aber nach Jahren der Abstinenz lasse ich mir die Gelegenheit, mal wieder in der Ostsee zu schwimmen, nicht entgehen.
Auch wenn wir gern unterwegs wild zelten, kann man auf Zeltplätzen mitunter lustige Beobachtungen machen, wenn man den Blick auf die Nachbarschaft schweifen lässt. Ein ungarisches Paar wirft sich am Morgen theatralisch in seine durchgestylten Rennradklamotten, um nach einer Viertelstunde wieder zurückzukehren, die Räder abzustellen und in Dehnungsübungen zu verfallen. Eine polnische Familie rückt zu viert mit Fahrrädern an, ein Kind fährt schon selbst, der Kleinste im Anhänger der Mutter, nebst Windelpaketen und was ein Kleinstkind sonst so braucht. Einen zweiten Anhänger zieht der Vater und zaubert daraus ein großes Familienzelt. Wohlgemerkt, sie fahren keine E-Bikes.
Freitag, 09.08.
Nach einem Tag Pause schwingen wir uns wieder auf die Räder und fahren südwärts zum Oderhaff. Wider Erwarten ist das Land nicht so flach wie erhofft. Gleich am Beginn der Tour quälen wir uns ordentlich bergauf und werden mit einem weiten Blick über die Landschaft und das Wasser erfreut. Der Radweg verläuft sehr schön, zwar hin und wieder auf der Straße, meist aber durch Feld, Wald und Wiesen. Auf den freien Sumpfwiesen am Ostufer weht ordentlich Wind und dies meist von vorn. Selbst die Abfahrten zwingen oft zum Weitertreten, sonst fährt man wahrscheinlich rückwärts den Berg wieder hinauf.
In Stepnica geben wir für heute auf und finden ein Plätzchen an der Marina für 70 Zloty. Sogleich stellt sich noch mehr Wind ein. Wir schaffen es noch, einen kleinen Imbiss zu vertilgen, dann ergießt es sich über uns. Unsere Räder stehen bereits in einem kleinen Unterstand, wohin wir nun auch flüchten. Eine kurze Regenpause nutzen wir für einen Einkauf und kehren auf dem Rückweg am Fischereihafen auf ein Bier ein. Am Abend hört der Regen endlich auf, nur der Wind bläst weiter stürmisch und macht den Aufenthalt draußen nicht gerade gemütlich. Die beiden Abendwächter der Hafenmeisterei sind aber sehr lieb und stellen uns einen kleinen Tisch und zwei Stühle ins trockene Foyer.
Samstag, 10.08.
Am Morgen beginnt eine Dame ihren Dienst im Hafenbüro und bietet uns sogleich Kaffee an. Leider kommt sie damit ein wenig zu spät, denn wir haben bereits mühsam unter windigen Bedingungen unser Kaffeewasser zum Kochen gebracht und sind fast fertig mit Frühstücken. Wir raffen uns auf, nachdem sich die Sonne endlich so weit hochgearbeitet hat, dass die kurzen Hosen gerechtfertigt erscheinen und strampeln weiter auf dem gut beschilderten Radweg neben der Straße. Kurz wechseln wir auf einen Waldweg, dann wieder an der Straße entlang, bis wir schließlich den Rest des Tages dem Schotterweg auf dem Damm folgen. Gegen den Wind ist harte Beinarbeit gefragt, nur nicht Aufhören zu treten. Dafür ist die Landschaft beeindruckend. Auf der einen Seite die Ausblicke auf Schilf und Wasser, auf der anderen Seite Wiesen, Weiden und Sümpfe. Zunächst treffen wir kaum andere Radfahrer, bis wir eine Pause einlegen und plötzlich in kleinen Gruppen die Teilnehmer eines Radrennens auftauchen. Ob diese die ganze Runde um das Haff radeln? Das wären immerhin etwa 300 Kilometer. Wir haben es nicht so eilig. Am Nachmittag legen wir eine späte Pause ein und verwöhnen uns mit selbstgezauberten Rollmopsbrötchen, während wir an einem kleinen Strand einigen Hunden beim Baden zusehen. In Prawobrzeze beenden wir den Tag nach 50 Kilometern und finden mit einigen Umwegen die Marina und den zugehörigen Zeltplatz. Für 60 Zloty sind wir videoüberwacht und können den schaukelnden Booten, dem Wasser und dem Sonnenuntergang zusehen. Später liefern sich einige Jetski-Idioten ein nächtliches Rennen und wir hoffen vergebens, dass sie dabei untergehen.
Sonntag, 11.08.
Am Morgen wähnen wir uns auf einer Alm. Die im Wind klappernden Segelstangen sind die Kuhglocken des Nordens. Dazu gesellt sich das Schreien und Kichern der Möwen. Unser Platz ist nicht so günstig gewählt, es gibt keinen Schutz vor dem kalten Wind und die Sonne steht immer hinter einem Baum. So beeilen wir uns zusammenzupacken und folgen der Straße weiter ins nahegelegene Stettin. Im Gegenwind müssen wir steile Anstiege zu den zahlreichen Brücken bewältigen und stellen uns vor, wie grausam das Radfahren hier im Winter sein muss.
Stettin hat noch einige schöne alte Gebäude, die den Krieg überstanden haben oder wieder restauriert wurden. Viel Zeit haben wir nicht und begnügen uns mit dem Altstadtkern, der durch viele Neubauten ergänzt wurde. Das Radwegenetz ist gut ausgebaut, aber leider überhaupt nicht beschildert, so dass wir mehrfach das Navi bemühen müssen. Hinter der Stadt endet die gut ausgebaute Infrastruktur wieder und wir sind gezwungen, auf einer vielbefahrenen Landstraße die vielen Flussarme zu überqueren. Parallel zur Oder würde uns nun eine weitere Landstraße durch einige Ortschaften bis zum Ziel führen, aber der Verkehr nervt einfach, weshalb wir einen Umweg durch den Wald in Kauf nehmen und damit auch den nicht unbeachtlichen Hügeln trotzen müssen. Einige Male verfahren wir uns, weil es schlicht keine Beschilderung gibt, obwohl wir uns offiziell auf einem Fernradweg befinden. Aber die Fahrt durch den alten Waldbestand ist sehr erholsam und ein Reh lässt sich auch blicken. Wir müssen uns wieder der Oder zuwenden und wechseln nach den Tiefsandpassagen auf hundert Jahre altes Pflaster. Danach sind die Knochen einmal gut gemischt und finden hoffentlich ihren alten Platz wieder im Skelett. Erschöpft suchen wir nach einem Pausenplatz, finden jedoch nicht einmal eine Bank zum Verweilen. Schließlich rasten wir auf dem Damm im Gras und haben nun noch etwa sieben Kilometer bis zum Ziel. Der Zeltplatz ist schnell gefunden, aber die Rezeptionsdame lässt auf sich warten und spricht ausschließlich polnisch. Für unsere Zwecke reicht der brüchige Wortschatz und so schlagen wir auf dem spartanisch ausgestatteten und fast leeren Platz im Städtchen Gryfino unser Zelt auf und genießen die Ruhe.
Montag, 12.08.
In Gryfino nutzen wir die Gelegenheit, über die Brücke auf die deutsche Seite der Oder zu wechseln. Das Fluss- und Sumpfgebiet erstreckt sich über eine Breite von drei Kilometern, mittendrin zeugt ein verwaister Posten von früheren Grenzkontrollen. Der Radweg auf deutscher Seite ist voll gepflastert oder asphaltiert, wobei an einigen Stellen der Asphalt bereits von den Baumwurzeln aufgebrochen wurde. Ein endloser Wildzaun soll gegen das Einschleppen der afrikanischen Schweinepest schützen und trennt die Bewohner vom Ufer ab. Nur an einigen Stellen gibt es kleine Tore für Angler oder Bootsinhaber. Rastplätze gibt es im Gegensatz zur polnischen Seite ebenfalls und entsprechend ist der Weg auch mehr befahren. Vor Schwedt sehen wir zunächst nur die Industrieanlagen und sind angenehm überrascht, als wir einen Abstecher ins Zentrum der kleinen Stadt machen. Neben imposanten Kirchengebäuden stehen noch einige schön sanierte alte Häuser im angenehmen Kontrast zum Industriegebiet und den für die Arbeiter errichteten Neubaublöcken.
Wir wechseln wiederum die Flussseite nach Polen und sind erfreut, einen gut ausgebauten Radweg am Ufer zu finden. Ein großes blaues Schild weist auf die Finanzierung durch die Europäische Union hin. Uwes Karte verzeichnet einen Biwakplatz, auf den wir uns bereits freuen. Leider existiert dieser nicht. Das Areal ist striktes Naturschutzgebiet, in dem zelten, rauchen und sogar Alkohol trinken verboten sind. Also folgen wir dem Weg weiter, bis wir in einer Sackgasse landen. Der Weg wurde einfach nicht weitergebaut. Bis hierhin kamen wohl die EU-Beamten nicht, das Geld floss sicher trotzdem. Wir kehren um und quälen uns den Berg hinauf. Oben bleibt es dann zu unserer Erleichterung relativ eben und so erreichen wir Piasek, die nächste angebliche Zeltmöglichkeit. Aber auch hier Fehlanzeige. Am eingezeichneten Ort befindet sich lediglich eine Pension für Radfahrer. Also steuern wir unsere letzte Hoffnung an. Nach weiteren sechs Kilometern soll es in Bielinek noch einen Zeltplatz geben. Auf der wenig befahrenen Straße springt uns fast ein Hirsch ins Rad. Galant dreht er gerade noch ab und gesellt sich wieder zu seinem Rudel, das noch in den Büschen wartet. Glücklich erreichen wir den tatsächlich existierenden Zeltplatz, ein liebevoll gestaltetes Privatgelände mit schicken sauberen Sanitäranlagen, die sogar mit allerlei Duftwässerchen zum allgemeinen Gebrauch bestückt sind. Vielleicht führt die Familie, die nebenan in einem Holzhaus wohnt, nebenbei noch einen Parfümhandel. Honig kann man hier auch kaufen, aber wir fürchten ein Klebemassaker in unseren Radtaschen und verzichten lieber auf den Erwerb.
Wir haben einen guten Stellplatz für unser Zelt und während wir am Abend bei einer Flasche Wein den Sternschnuppen zuschauen, schlendern zwei Hirsche auf der Straße herum und auch Herr Reineke zieht seine Runde.
Dienstag, 13.08.
Bis wir gefrühstückt, alles zusammengepackt und endlich nach einer halben Stunde Warten, bis eine Mutter mit Kind ihr Duschvergnügen beendet hat, auch noch fünf Minuten für die Körperpflege aufgebracht haben, ist es bereits Mittag. Soweit nicht schlimm, denn eigentlich sollen es heute nur etwa 35 bis 40 Kilometer werden. Der Weg ist wieder einmal nicht beschildert, aber dank zweistreifig verlegter Betonplatten, sogar ohne die sonst berüchtigten Löcher, kommen wir gut vorwärts und werden lediglich an den Stoßstellen durchgeschüttelt. An einer alten Pumpenstation vorbei geht es lange hinter dem Deich geradeaus nach Osinow Dolny, wo uns ein großes Schild mit der Aufschrift „Willkommen auf dem Polenmarkt Hohenwutzen“ empfängt. Hier gibt es alles für den deutschen Schnäppchenjäger, der samt beleibter Familie im Schlabberlook hier tanken, essen und einkaufen kann. Einige scheinen hier sogar Urlaub zu machen, zumindest ist der Campingplatz gleich neben dem Markt an der Straße gut gefüllt. Wir nutzen die Chance zum Einkaufen eines Pausensnacks und verlassen den Ort schnellstmöglich wieder. Etwa drei Kilometer südlich erreichen wir die Europabrücke, eine lange Stahlfachwerkbrücke mit Aussichtsturm in der Mitte, nur für Fußgänger und Radfahrer, die auf den Pfeilern einer im zweiten Weltkrieg gesprengten Eisenbahnbrücke errichtet wurde. Der glatte Belag auf der polnischen Konstruktionsseite weicht auf deutscher Seite quer verlegten WPC-Dielen mit halbrunden Buckeln an den Teilabschnitten, die das Fahrvergnügen deutlich trüben. Hinter der Brücke pausieren wir im Schatten einiger Bäume auf dem Deich, um anschließend auf der deutschen Seite dem Radweg wieder nordwärts zu folgen. Die Sonne knallt unerbittlich, nur ein wenig Wind und wenige Schattenstellen sorgen für vorübergehende Erholung.
Im Örtchen Hohensaaten wenden wir uns westwärts von der Hauptoder ab, stocken bei einem netten Anwohner den Wasservorrat auf und quälen uns erneut ungeahnte Anstiege hinauf. In Niederfinow kreuzen wir unter den beiden gigantischen Schiffshebewerken hindurch. Bereits seit 1934 überwinden hier die Schiffe eine Höhe von 36 Metern, um von der Oder zum Oder-Havel-Kanal oder umgekehrt zu wechseln. Parallel wurde für größere Schiffe noch ein zweites Hebewerk errichtet, welches 2022 eingeweiht wurde. Wir sind ein wenig spät dran und müssen auf die nähere Besichtigung verzichten. Auch wird es Zeit, einen Schlafplatz zu finden. Wir sind schon weit mehr gefahren, als wir es planten. In der Nähe gibt es tatsächlich einen kleinen Zeltplatz, aber wir suchen die Wildnis und finden sie am weiterführenden Radweg auf einer Anhöhe mit Blick auf die Wiesen, wo sich sogar vor Sonnenuntergang noch ein Reh einfindet. Hatten wir gedacht, einen ruhigen Platz gefunden zu haben, sind wir doch erstaunt, dass der Weg bis spät am Abend noch gut frequentiert ist, und wir fragen uns, wo die Leute um diese Zeit noch hinwollen oder wo sie herkommen.
Mittwoch, 14.08.
Donnerstag, 15.08.
Ein klein wenig Regen hat die Nacht nicht kühler, dafür aber das Zelt nass gemacht. Wir packen trotzdem zusammen, bevor wir frühstücken, denn auch am Morgen kommen hier schon einige Radler und hin und wieder ein Auto vorbei. Die Strecke muss einst eine Bahnlinie gewesen sein, denn sie führt weitestgehend geradeaus auf einem Damm durch den teils sumpfigen Wald. Leider müssen wir irgendwann abbiegen und wieder dem Auf und Ab der Landstraßen folgen. Es ist warm und die Anstrengung tut ihr Übriges dazu, dass das Verlangen nach einem Bad im See steigt. Im Dörfchen Carvitz sehen wir auf der Karte eine Badestelle. In natura sieht sie dann nicht mehr so idyllisch aus. Der kleine Strand ist überfüllt und ohne Bekleidung geht hier auch niemand ins Wasser. Also erledigen wir erst in Feldberg noch unsere Einkäufe und starten am Möllenbecker Haussee einen neuen Versuch. Hier geht es eine steile Wiese hinunter zum See. Im Schilf gibt es eine schmale Schneise und schon kann man ungestört und ganz allein den See genießen. Ein Teil der Erholung ist beim Hinaufschieben der bepackten Räder nach dem erquickenden Bade bereits wieder dahin. Der Rest der Strecke ist nun nicht mehr lang, der letzte Hügel erklommen und wir haben glücklich das Ziel erreicht. Unser Freund wartet schon sehnsüchtig auf uns, denn er will auch unbedingt zum See. Also steigen wir gleich um ins Auto, fahren zum Strand und schwimmen noch ein paar Runden. Später lassen wir den Abend mit Pizza, Rotwein und langen Gesprächen ausklingen.
Freitag, 16.08.
Wir haben das kleine Zelt wieder mit dem Dachzelt getauscht und schlafen weich gebettet, bis die Sonne weiteren Schlaf unmöglich macht. Eine Dusche aus dem Wassersack erfrischt am Morgen, während man dabei weit übers Feld schauen kann. Nach einem späten Frühstück setzen wir uns noch einmal auf die Räder, um zu einem der Seen zu fahren. Ohne Gepäck geht das gleich viel leichter. Erfrischt radeln wir zum Laden, in Blankensee, von wo wir einer vermeintlichen Abkürzung folgen, auf der wir die Räder über einen umgestürzten Baum hieven müssen und eine steile Wiese zu erklimmen haben.
Am Abend laben wir uns wieder an selbstgebackener Pizza und sitzen noch lange gemeinsam am Lagerfeuer, bevor wir am nächsten Tag von diesem friedvollen Platz Abschied nehmen müssen.
Autorin: Ines Krüger